New York, New York ...
Der 23-jährige Victor Natus hat bis vor wenigen Jahren in Gerresheim gelebt. Nun ist er Schauspieler und träumt davon, in der US-Metropole ganz groß heraus zu kommen.
Bis vor wenigen Jahren hat Victor Natus in Düsseldorf gelebt, ist in Gerresheim zur Schule gegangen – nun ist er in New York. Weil er fest davon überzeugt ist, nur dort lernen zu können, was er lernen und können will: Auf der Bühne will der 23-Jährige stehen, oder vor der Kamera. Die Schauspielerei ist seine Leidenschaft. Und von der und für die möchte er leben.
Der zweite Teil dieses Wunsches hat sich bereits erfüllt. Denn von 2017 bis 2019 war der Düsseldorfer ein Schüler im Neighborhood Playhouse in New York, heute hat er dort einen Teilzeitjob. Im Stadtteil Manhattan, nicht weit vom mächtigen Turm der UNO am East River, sitzt dieses Ausbildungsinstituts, das sich „School of the Theatre“ nennt, schon seit fast einem Jahrhundert. Gegründet von zwei Frauen übrigens, Irene und Alice Lewisohn aus Hamburg, im Jahr 1928. Geht man durch das Gebäude, sieht man schnell: Viel hat sich seitdem offenbar nicht verändert. Die Dielen sind abgelaufen, die Räume eng und verwinkelt, das Geländer der schmalen Treppe in die oberen Stockwerke abgegriffen von den Händen vieler hundert Menschen, die hier gelebt, geschwitzt, gesungen und gespielt haben. Nicht alle mit Erfolg, die weitaus meisten hat die Welt nicht kennengelernt, einige scheiterten ganz. Aber andere eben doch: In einem kleinen Raum, direkt hinter dem Eingang und der winzigen Pförtnerloge, hängen zwei oder drei Dutzend alte und neuere Schwarz-Weiß-Fotos von Stars, die im Neighborhood Playhouse gelernt haben. Viele kennt man vermutlich nur in USA, aber einige sind weltberühmt: James Caan („Der Pate“) oder Eli Wallach („Zwei glorreiche Halunken“), Diane Keaton („Der Club der Teufelinnen“) und Jeff Goldblum („Jurassic Park“). Auch sie haben hier bei Null angefangen und sind dann weltberühmt geworden.
Das will jeder der Schüler, obwohl es keiner so aussprechen würde. Auch Victor Natus ist bescheiden – vorerst. Zur Zeit träumt der 1,90 Meter große, schlanke junge Mann mit den fast schulterlangen blonden Haaren davon, kleine Rollen zu bekommen. Und hat sogar Erfolg: Erst vor wenigen Tagen war eines der zahlreichen Castings, zu denen er bereits gegangen ist, endlich erfolgreich. In einem Feature-Film wird Natus einen englischen Auswanderer spielen, der mit falschen Versprechen nach New York gelockt wird und dann spurlos verschwindet.
Für die Rolle muss Victor, der in den USA lebende Deutsche, Englisch mit Cockney-Akzent sprechen. Kann er das? Ja, kann er. Gelernt hat er es von Colleen Smith Walnau, seiner Sprachlehrerin. Sie hat ihm beigebracht, auch sprachlich in andere Rollen zu schlüpfen.
Diese Lehrer – sie sind wie Lotsen in diesem Meer aus Hoffnung, Fleiß, Ehrgeiz, Schweiß und Leidenschaft. Und irgendwie sieht man es ihnen an: ungewöhnliche Typen, offensichtliche Individualisten, vor allem aber bewunderte Vorbilder ihrer Schüler. Man spürt man es auch bei Victor, welchen Respekt er vor diesen Frauen und Männern hat.
Die Schule, die nach außen eher schmal und klein wirkt, hat es in sich: In einem Theatersaal im Erdgeschoss mit Bühne, Mischpult und Lichttechnik nebst drei oder vier Dutzend Stühlen wird geprobt, in einer Art Turnhalle im oberen Stockwerk lernen die Schüler ihr Handwerk. Dort wälzen sich jeweils zwei auf dicken Matten und simulieren Kampf. Nach kurzer Zeit atmen alle schwer und sind verschwitzt.
Beim Lernen hilft den Eleven auch Whit Waterbury. Der Bibliothekar sitzt in einem kleinen Raum im oberen Stockwerk der Schule in einem vielleicht 40 Quadratmeter großen Raum. Die Wände sind von oben bis unten, von links nach rechts mit Büchern gefüllt. „Alles Stücke, die einmal gespielt oder verfilmt wurden – Whit kennt sie alle, er weiß, wo jedes Buch steht. Phänomenal!“, sagt Victor voller Bewunderung. Mr. Waterbury nickt – und blickt nicht auf vom Bildschirm seines Laptops, der in diesem Raum so anachronistisch wirkt wie ein Flachbild-Fernseher wirken würde im Speisesaal der Zauberschule Hogwarts.
Victor ist heute zwar noch in der Schule engagiert, aber nicht mehr als Schüler. Er hat einen Job bekommen, organisiert einige Abläufe, nimmt Telefonate entgegen oder sitzt in der kleinen Pförtnerloge. Ein Jahr darf er im Rahmen dieses „Optional Practical Training“ arbeiten. So ist er immer noch seinen Lehrern nahe, und dieser so speziellen Szene, in der er Erfolg haben möchte. Dann steht die Entscheidung an, ob das alles ausreicht für ein Künstlervisum – mit dem dürfte er drei Jahre offiziell arbeiten. Darauf hofft er, der derzeit einzige Deutsche in der Schule.
Zur Zeit stehen er und ein paar seiner Schauspielfreunde auf der Bühne eines Theaters in Brooklyn. Das Stück, das sie an drei Abenden aufführten, heißt „Dog sees God“. Es handelt von Schwulen, ihrem Outing und den brutalen Regeln, nach denen sie gemobbt werden. Victor spielt Beethoven (eigentlich heißt er Schröder, aber weil er Beethoven liebt, heißt er nach diesem deutschen Komponisten.) Beethoven ist schwul. Sein Lover heißt Charlie Brown. Die Namen kommen einem zurecht bekannt vor: Das Theaterstück schreibt die Schicksale der Figuren aus „Peanuts“ fort, dieser legendären Comic-Serie aus den 1970er Jahren. Der Junge am Klavier wird seinerzeit von Lucy heftig angeschmachtet. Aber er reagiert nicht. Heute wissen wir, warum – er steht auf Männer. Und zwar auf Charlie Brown. Aber die Story, die die „Peanuts“ als Erwachsene und ohne Beagle Snoopy (der ist längst tot) schildert, hat kein Happy-End – Beethoven begeht Selbstmord, er erträgt den Druck seiner Umwelt nicht.
Positive Presse, frenetischer Beifall – die Crew um Victor ist berührt vom Erfolg und bewirbt sich jetzt für eine Engagement mit diesem Stück von Bert V. Royal für eine Off-Broadway-Bühne – also nicht weit von den Adressen, an der Weltkarrieren schon oft begonnen haben.
Und Düsseldorf? Bis vor kurzem lebte Victors Mutter dort, er hat sie häufig besucht. Ob er künftig nach Deutschland, gar nach Düsseldorf an eine der hiesigen Bühnen zurückkehren will, ist völlig offen – denn wie gesagt: der junge Mann steht erst am Anfang seiner Karriere.